Nach dem letzten öffentlichen Text der Rigaer78 zum Fall sexualisierter Gewalt in ihrem Kollektiv, war unser erster Impuls erneut öffentlich zu antworten, um Themen aus unserer Perspektive darzustellen. Da wir wenig Sinn darin sehen, den Fall in einem Schlagabtausch zu behandeln, haben wir uns dafür entschieden, das Thema sexualisierte Gewalt im Gesamtkontext zu betrachten und es als das zu behandeln was es ist: Ein strukturelles Problem und kein Einzelfall!
Wir wollen mit diesem Text transparent machen, dass uns in den letzten Jahren immer wieder Fälle von sexualisierter Gewalt in unseren Strukturen bekannt wurden, mit denen wir uns mal mehr mal weniger (in jedem Fall aber nicht ausreichend) beschäftigt haben. Durch die vielen öffentlichen Outings, sehen wir aktuell die Möglichkeit und die Notwendigkeit die Debatte öffentlich zu führen. Und wir möchten unseren bisherigen Umgang transparent und uns damit kritisierbar machen.
Zu uns: Wir, die Interkiezionale, ist keine organisierte Gruppe sondern ein Bündnis bzw. ein Zusammenschluss von räumungsbedrohten (und nun auch geräumten) Projekten in Berlin. Wir sind ein relativ loser Zusammenhang, in dem Kollektive und Einzelpersonen zusammen kommen. Unser ursprüngliches Ziel war, die Projekte zu verbinden, uns auszutauschen und gemeinsamen Protest zu organisieren. Der Austausch bzgl. anderer Themen als der Räumungsbedrohung wurde von uns sekundär behandelt. Widersprüche und Unstimmigkeiten wurden oft zurückgestellt und nicht angesprochen und ausdiskutiert. Eine gemeinsame Bewertung dessen steht noch aus.
Bzgl. des Themas sexualisierte Gewalt, wurde die Plattform Interkiezionale mehrfach genutzt Vorfälle gegenüber anderen Kollektiven transparent zu machen. Das erste Outing betraf eine Person, die regelmäßig für ein räumungsbedrohtes Kollektiv auf dem Interkiezionale Plenum saß. Die Betroffenen hatten den Wunsch, selbst zu entscheiden, an wen das Outing herangetragen wurde. Praktisch bedeutete das, Transparenz in Strukturen, in denen die Person organisiert war, herzustellen. Die gewaltausübende Person war bereits von einem Kollektiv ausgeschlossen worden. Das Interkiezionale Plenum machte nach dem Outing gegenüber dem Täter klar, dass er nicht mehr auf dem Plenum erwünscht ist. Weiter wurde intern ein separates Plenum organisiert, bei dem wir uns über den konkreten Fall und insbesondere den abgebrochenen transformativen Prozess austauschten. Wir haben uns bei diesem Treffen einige Sachen vorgenommen, die wir zum großen Teil nicht umgesetzt haben.
Im Laufe der Zeit wurden weitere Fälle von sexualisierter Gewalt in der Interkiezionalen transparent gemacht. Die IK wurde dabei vor allem genutzt die Information zu verbreiten, die Entscheidungen über den Umgang mit den gewaltausübenden Personen oblag den jeweiligen Kollektiven und wurde stets durch die Interkiezionale mitgetragen. In einigen Fällen wurde der Austausch mit anderen Kollektiven und Einzelpersonen gesucht. In allen Fällen wurden die Täter aus Strukturen ausgeschlossen. Insgesamt wurden 5 Fälle explizit an uns als IK herangetragen. All diese Fällen wurden auf Wunsch von Betroffenen nicht öffentlich verbreitet.
Im Fall des Outings eines Bewohners der Rigaer78 war es anders: Hierbei wurde die Interkiezionale von der Unterstützungsgruppe einer Betroffenen angefragt diese zu unterstützen. Es sollte Druck auf die Rigaer78 ausgeübt werden, nachdem sie in dem Austausch mit dem Kollektiv nicht weiter gekommen waren. Es wurde sich schließlich gemeinsam entschieden den Fall öffentlich zu machen.
Aber auch als Gruppe haben wir Momente erlebt, in denen wir gemeinsam mit patriarchaler Gewalt konfrontiert waren. Dabei haben ausschließlich FLINTA*s reagierten. Bei den Cis-Männern unter uns war der Handlungsdrang meist nicht sonderlich groß. Erst diese Momente haben bei uns auf dem Plenum zu einem Beginn einer Ausseinandersetzung mit patriachaler Gewalt geführt. Dabei stehen die Individuen und Kollektive an sehr unterschiedlichen Punkten.
Als Interkiezionale stehen wir daher erst am Anfang einer Auseinandersetzung zu unserer gemeinsamen Rolle und unseren Möglichkeiten. Dabei stehen auch die Individuen und Kollektive an sehr unterschiedlichen Punkten. Das haben wir in Momenten erlebt, in denen wir gemeinsam mit patriarchaler Gewalt konfrontiert waren und ausschließlich FLINTA*s reagierten. Bei den Cis-Männern unter uns war der Handlungsdrang meist nicht sonderlich groß. Wir haben darüber gestritten und diskutiert.
Gerne mochten wir hier teilen, was wir bisher (zumindet theoretisch) gelernt haben:
- Prozesse sollten kontinuierlich laufen und nicht durch Ereignisse ausgelöst und abgehakt werden, weil sie nicht abgehakt werden können.
- Es ist Kollektiven möglich Verantwortung zu übernehmen auch wenn Personen nicht mehr Teil von Kollektiven sind. Es darf keine Ausrede sein eine gewaltausübende Person auf Kosten anderer zu halten weil nur dann ein „Prozess“ möglich ist.
- Oberstes Ziel sollte sein, dass Betroffene sich ohne Angst bewegen können bzw. nicht gezwungen sind selbst Räume/Kollektive/Orte zu verlassen oder zu meiden. Es muss außerdem eine Transparenz darüber hergestellt werden, ob Betroffene sich sicher in Räumen bewegen können.
- Damit Betroffene sich ohne Angst bewegen können, tragen wir Straßen- oder Städteverbote von Tätern mit.
- Es ist wichtig nicht nur auf Täter zu schauen sondern auch auf das Umfeld, das sexualisierte Gewalt mitträgt oder erst ermöglicht. Es ist wichtig die Strukturen in uns, selbst übergriffig oder täterschützend zu sein, zu erkennen und an ihnen zu arbeiten. Das haben wir bisher nicht gemacht.
- Es ist möglich und wichtig sich Unterstützung bei Prozessbegleitung zu suchen. Hierfür gibt es Kommunikationskollektive und Gruppen, die Erfahrungen damit gemacht haben. Wir hätten an mehreren Punkten darauf zurück greifen sollen.
Wir müssen kollektiv an unseren Beziehungen zueinander arbeiten und diese frei von Unterdrückung und Ausgrenzung aufbauen. Es gibt keine individuellen- oder Einzelfälle. Wir müssen Erfahrungen teilen und alle zusammen daraus lernen, für das Gelernte Handlungsansätze finden und uns dementsprechend gemeinsam danach verhalten. Aus diesem Grund wollen wir mit euch über die Kontinuität sexualisierter Gewalt in unseren Strukturen sprechen, um über Wege zur Bekämpfung von patriarchalem und sexistischem Verhaltens zu diskutieren.
Hierfür laden wir euch zur nächsten VV am 26.03.22 um 14:00 im subversiv, brunnenstr. 7 ein.
Geplant ist die VV in zwei Teilen stattfinden zu lassen, am Anfang für die ersten 2 Stunden eine FLINTA* und Non-FLINTA* Versammlung, dann nach einer Pause eine all-gender Versammlung.
Bitte diskutiert im Vorfeld in euren Kollektiven folgende Fragen:
- Wie war die Reaktion in eurem Projekt auf unsere Einladung? Fehlen Leute bei dieser VV?
- Achtet ihr bei Einzügen auf eine gender Balanz (inklusive nicht-binäre gender Kategorien or identitäten)?
- Wo fängt Sexismus an? Wo und wann bist du das erste Mal mit Sexismus konfrontiert wurden? Was sind patriarchale Verhaltensmuster? Was ist dominates Verhalten? Was sind typische gender Rollen? Warum existieren sie im Zusammenleben? Wo existieren sie? Bei Diskussionen (Redeanteile?) oder bei der Verteilung von Aufgaben? Habt ihr Ansätze um von diesen Rollen weg zu kommen?
- Gibt es Diskussionen zu (toxischer) Männlichkeit in eurem Projekt? Falls ja, wie sehen diese aus? Gibt es Diskussionen zwischen den Cis-Männern über Sexismus
- Gibt es ein FLINTA* Plenum in eurem Projekt?
- Wie geht ihr mit Fällen von sexualisierter Gewalt um? Gibt es Unterstützung für betroffene Personen?
- Hast du das Gefühl offen über sexualisierte Gewalt in deinem Kollektiv reden zu können?
- Denkst du von allen Fällen sexualisierter Gewalt in deinem Kollektiv zu wissen?
- Gibt es eine Awareness Struktur für öffentliche Räume/Veranstaltungen (zb Partys)
- Gibt es eine Kontaktmöglichkeit für Personen in- und außerhalb des Projektes? Wie geht ihr mit Kritik von Innen oder Außen um?
- Braucht ihr Unterstützung um dieses Thema zu bearbeiten?