Als Interkiezionale-Bündnis veröffentlichen wir mit diesem Text eine erste Auswertung der Demo am 01.08.2020. Diese beschränkt sich auf die Taktik einer offensiven Demokultur in Berlin. Dies bedeutet nicht, dass Taktik das einzige ist, woran sich der Erfolg einer Demo messen lässt, noch, dass allein offensive Demos unsere Strategie darstellen. Wir wollen die angeschnittenen Themen mit euch weiter reflektieren und diskutieren, um unsere Strategien weiterzuentwickeln und die Bewegung zu stärken.
Die Auswertung fand vor der Räumung des Syndikats statt und wird darauf nicht Bezug nehmen. Eine Auswertung der Geschehnisse nach dem 01.08. folgt in einem separaten Text in den kommenden Tagen.
Als Organisator*innen der »Raus aus der Defensive« Demo vom 01. 08.2020 sehen wir die Demo und die Spontandemonstration am Abend als einen Erfolg. Die Erwartungen waren hoch angesetzt mit einem offensiven Slogan. Wir haben gemeinsam das Motto umgesetzt, sind „raus aus der Defensive“ gekommen und haben einen kraftvollen, kollektiven Schritt gegen zukünftige Räumungsversuche unternommen. Wir hoffen, dass dieser Tag mobilisierend auf die kommenden Wochen, Demos und Aktionen wirkt.
Auch wenn in Berlin viele Menschen politisch aktiv sind, meinen wir, dass es an kollektiven widerständigen Momenten fehlt. Gemeinsam mit den offensiven Momenten der letzten Zeit haben wir am 01.08. mit dem Bild von einem passiven Berlin gebrochen: z.B. die Interkiezionale Demo am 02.11.2019, die etlichen Besetzungen, die George-Floyd-Sponti, die Sponti in Friedrichshain für die Liebig34 & Rigaer94 und nun diese Demo zeigen, dass wir kollektiv militant sein können. Momente, in denen wir unsere Kämpfe kollektivieren sind Momente, in denen wir tatsächlich gefährlich für den Staat und das Kapital werden. Es sind Momente wie die am 01.08., die uns zeigen, dass unsere Stärke darin liegt, gemeinsam zu kämpfen. Lasst uns daher aus unseren Fehlern lernen und uns von unserem Potential ermutigen.
Was ist passiert?
Am 01.08. fand unter dem Motto „Raus aus der Defensive“ eine Demonstration in Berlin-Neukölln in Solidarität mit bedrohten Projekten statt. Etwa 2500 Menschen sammelten sich am Startpunkt. Nach Redebeiträgen und der Ankündigung, sich im Falle der Auflösung um 23 Uhr im Prenzlauer Berg wiederzutreffen, startete die Demo zügig um 20:20 Uhr vom Herrfurthplatz. Von Beginn an hatte die Demo einen kraftvollen Charakter.
Die Demo formierte sich schnell. An der Ecke Weisestr-/ Herrfurthstr. gab es einen Bannerdrop und eine Pyroshow. Mit einem schnellen Rhythmus, lauten Parolen, Pyro und Rauchschwaden bewegte sich die Demo Richtung Hermannstraße. Trotz der sichtbaren Polizeipräsenz kreierte die Demo eine Atmosphäre von Solidarität und Entschlossenheit.
Links abbiegend auf die Mainzerstraße, wo die Cops das Jobcenter schützten, fand eine erste Konfrontation statt. Menschen ließen es sich nicht nehmen, das Gebäude und die Cops anzugehen. Menschen zündeten weiterhin Pyro und riefen Parolen, viele hatten Transpis und Schirme dabei, um die Demo vor Angriffen zu schützen.
An der Ecke Hermann-/Flughafenstr. wurde dann ein neuer Luxusbau mit Farbbeutel beschmissen. Während der Frontblock die Flughafenstraße runter lief, griffen die Cops die Demomitte an. Größtenteils ungeschützt durch fehlende Seitentranspis ließ sich die Demo in zwei Teile teilen. Menschen drängten sich an die Seiten der Kreuzung und der zuvor kompakte Demozug löste sich auf. Einige Menschen verteidigten sich gegen die Angriffe der Cops und versuchten trotz Pfeffer die Demo Masse wieder zu strukturieren, Schutz mit Transpis und Schirmen aufrechtzuerhalten und ein Weiterlaufen zu ermöglichen, was ihnen nicht gelang. Die Cops trieben Menschen mehr und mehr in Richtung Hermannstraße und Columbiadamm. Während einige in Panik gerieten und weg rannten, nutzten andere das entstandene Chaos für weitere Aktionen. Da sich der größte Teil der Demo nun Richtung Columbiadamm bewegte, löste sich die Demo mehr und mehr auf.
Von dort lief die größte Masse in Richtung Schillerkiez. Während sich einige treiben ließen, versuchten andere, Barrikaden zu bauen, um sich die Straße zurück zu nehmen. Durch den Kiez laufend gelang die Masse zurück auf die Hermannstraße, wo das Büro der SPD mit Steinen attackiert wurde. Mit steigender Polizeipräsenz und einem Helikopter nun über Neukölln schwirrend löste sich die Masse auf und verschwand in den umliegenden Kiezen. Die Verabredung sich um 23 Uhr im Prenzlauer Berg zu treffen, rückte ohnehin immer näher.
Reflektion
a) Demo-Struktur & -Orga
Wir müssen selbstkritisch zugeben, dass wir unser Vorhaben pünktlich loszugehen, im Vorhinein nicht kommmuniziert haben. Da wir es gewöhnt sind, dass Demos mit großer Verspätung losgehen, waren viele davon überrascht oder kamen zu spät. Generell halten wir es für sinnvoll, nicht zu spät los zu gehen, da langes Warten eine träge Stimmung erzeugen kann.
Zudem gab es übliche Kommunikationsprobleme, da die Megaphone bei weitem nicht laut genug waren, um alle in der Demo zu erreichen. Nichtdestotrotz halten wir Megaphone für eine bessere Wahl als einen Lautsprecherwagen. Die Megaphone ermöglichen eine mobile Kommunikationsstruktur – eine Heransgehensweise die in anderen Kontexten (wie Ende Gelände) längst etabliert ist und die wir auch im städtischen Raum ausbauen sollten.
Bezüglich der Demogeschwindigkeit war es ein Problem, dass die Demo über die gesamte Route sehr schnell war. Einerseits ließ der schnelle Start den Cops keine Gelegenheit die Demo gut zu kontrollieren, andererseits hatten es Menschen schwer Schritt zu halten. Dies führte zu Lücken in die Demo mit der Konsequenz, dass Menschen weniger geschützt waren oder weniger Schutz bieten konnten als eine strukturierte Demo. Auch ließ das Tempo wenig Zeit für andere Sachen (Schluck Wasser trinken, Schuh zubinden, etc…).
Stattdessen hätte die Demo mit mehr Selbstsicherheit und weniger Hektik agieren können. Es wäre möglich gewesen im Schillerkiez langsam zu starten, Geschwindigkeit aufzunehmen (z.B. nach den ersten Angriffen) und auch langsamer zu werden wenn Lücken zu schließen sind. Es sollte nicht allein die Demorga sein, die das Tempo bestimmt indem durch Melder*innen auf der Demo und interner Struktur Lücken gemeldet werden. Auch beim Tempo kann, wie es aus anderen Kontexten und Ländern bekannt ist, auf Handzeichen zurückgegriffen werden, die alle kennen. So ist unser agieren anti-hierarchischer und Verantwortung mehr verteilt.
Zum ersten Ziel auf der Route wurde das JobCenter, welches am Anfang der Route liegt. So startete die Eskalation sehr früh. Im Nachhinein denken wir, dass es durch eine frühe Eskalation keine Möglichkeit gab, das Eskalationslevel langsam zu steigern was potentiell mehr Menschen hätte einbinden können. Es hätte von vorneherein eine andere Route angesetzt werden können.
Die Teile der Route hielten unterschiedlich viel Potential, um unsere inhaltliche Kritik an Orten der kapitalistischen und staatlichen Unterdrückung zu äußern. Unglücklicherweise liefen Menschen nach der Auflösung in Richtungen, die taktisch ungeeignet waren (Columbiadamm/ Schillerkiez). Während der Schillerkiez wie eine große Sackgasse aufgebaut ist, besteht er auch überwiegend aus Wohnhäusern. Auch der Columbiadamm ist eine lange gerade und leere Straße. Es ist durchaus möglich, dass die Cops bereits mit der Auflösung versuchten, die Masse davon abzuhalten, sich in bestimmte Richtungen zu bewegen. So oder so, gelang es der Struktur nicht, die Demo in Richtung der geplanten Route zu lenken. Hier braucht es vielleicht weiterführende Diskussion über das Out-of-Control Konzept, denn Out-of-Control sollte nicht heißen, planlos zu agieren.
Insgesamt wissen wir von 7 Festnahmen auf der Demo. Im Umfeld der Spontandemonstration in Prenzlauer Berg hörten wir von mindestens 12 Personenkontrollen und 3 Festnahmen. Alle Festgenommenen (von denen wir wissen) waren am nächsten Morgen wieder aus der Gesa. Schön ist, dass einige Festnahmen aufgrund des Kontrollverlusts der Polizei abgebrochen werden mussten oder nicht durchgeführt werden konnten. Für das Level an Eskalation gab es unserer Meinung nach wenige Festnahmen. Das verdeutlicht mal wieder, dass die Anzahl an Festnahmen häufig geringer ist auf offensiven Demos. Hier zeigt sich ein erster Kontrollverlust der Polizei.
Wir entschuldigen uns dafür, dass einige Menschen alleine waren als sie aus der GeSa kamen. Die Verantwortung für den fehlenden Gefangenen-Support liegt nicht beim EA Berlin, sondern bei uns, den Organisator*innen der Demo.
b) Allgemeine Demokultur
Durch unsere Reaktionen auf der Demo wurde deutlich, dass wir Angst vor den Cops verinnerlicht haben. Ein Beispiel ist, dass sich Menschen an der Ecke Flughafen/ Hermannstraße an die Seiten drängten obwohl zu Anfang nicht viele Cops da waren. Das hatte zur Folge, dass organisierte Reihen alleine da standen und Menschen die das Luxusloft angriffen ungeschützt auf der Kreuzung standen. Wir hatten den Eindruck, dass viele Menschen panisch wurden und einige Menschen noch mehr Panik erzeugten in dem sie riefen, dass Menschen rennen sollten. Die meisten folgten dieser Dynamik und ließen sich von den Cops jagen. Wir können nicht bewerten, ob es in diesem Moment notwendig war zu rennen, aber wollen unsere allgemeine Angst vor Cops in Frage stellen. Wir meinen, dass die Bewegung sich mehr Selbstbewusstein im Umgang mit Cops aneignen muss, um sie zum Beispiel in organisierten Reihen zu blockieren und Angriffen wie denen am 01.08. nicht wehrlos ausgesetzt zu sein.
Die Cops haben sich weder schlau verhalten noch waren sie zu Beginn viele. Obwohl es Momente gab, in denen wir ihnen zahlenmäßig weit überlegen waren, ließen sich viele Menschen von Gerenne und wild umherfahrenden Wannen wegjagen. Hier könnten wir lernen, Ruhe zu bewahren. Wir denken, dass es sinnvoll ist, als Einzelpersonen zu lernen, in Stressmomenten wie solchen einen Blick für das Ganze/ Andere und nicht allein für sich selbst zu haben. Wir sollten unser kollektives Handeln weiter trainieren (Aktionstrainings) da wir Demos als gute Möglichkeit sehen, unsere Wut gemeinsam auszurdücken.
c) Prenzlauer Berg Sponti (Plan B)
Während der Demo in Neuköllen wurde angesagt, dass wir uns um 23 Uhr im Prenzlauer Berg treffen, für den Fall, dass wir in Neukölln nicht so laufen können wie wir es wollen. Die Ortswahl war nicht zufällig. Der gewählte Kiez ist einer der meist gentrifizierten Gebiete Berlins und beherbergt viele Immobilienbüros, Luxubauten und überteuerte Geschäfte.
Die Sponti vom Kollwitzplatz zum Senefelderplatz hinterließ einige zerstörte Scheiben. Doch war die eingeschlagene Route nicht ideal. Auch hier war eine andere Route geplant. Aufgrund der Situation am Kollwitzplatz nach dem Auftauchen zweier Wannen und einer Zivikarre, versuchte sich jedoch die Masse aufzulösen bewegte sich kollektiv in eine ungeplante Richtung. Schlussendlich wurde aus diesem Auflösungsversuch der Start der Sponti. Am Senefelderplatz fuhren zwei weitere Wannen an und Bullen sprangen heraus was zur Auflösung führte.
Für die Zukunft möchten wir gerne an der Idee des Plan B weiterarbeiten, da wir selbstbestimmt protestieren wollen. Ein Plan B kann entweder als Drohung an die Cops wirken um uns laufen zu lassen oder aber sicherstellen, dass es mindestens bei einem Plan B zu widerständigen kollektiven Momenten auf der Straße kommt.
Ein wichtiger Punkt in unserer bisherigen Reflektion war die unzureichende Kommunikation darüber wann und ob Plan B (die Sponti) stattfinden würde. Öffentliche Kommunikation in solch einer Situation ist generell kompliziert und bringt uns stets in die Zwickmühle zwischen großen Aktionen die nicht ausschließend sind und in denen wir gemeinsam stark sein können und der durch die Aufmerksamkeit erhöhten Polizeipräsenz. Uns ist es wichtig, Aktionen zu planen, die öffentlich angeworben werden können, damit mehr Menschen daran teilnehmen können und es einfacher ist zu Aktionen dazu zu stoßen, auch weil eins sich vorher schon mit der Gegend oder der Route vertraut machen kann. Gleichzeitig ist die erhöhte Coppräsenz durch öffentliche Mobilisierung eine Hürde. Das Konzept, dass am 01.08. gefahren wurde, sollte einen Mittelweg gehen in dem nur ein Stadtteil, aber nicht der genaue Treffpunkt, öffentlich kommuniziert wurde. Die Diskussion über die Mobilisierung zu spontanen, unangemeldeten Demos (Spontis) wird in unserer Auswertung zur Syndikat-Tag X- Sponti fortgeführt.
Auch mussten wir feststellen, dass Plan B offensichtlich nicht als Androhung wirkte, um die Cops davon abzuhalten uns anzugreifen und die Demo zu zerschlagen. Es war trotzdem wichtig, dass wir unserer Androhung einer späteren Sponti nachkamen. Falls wir an dem Bedrohungspotenzial festhalten wollen, sollten wir Androhungen in Zukunft früher, lauter und direkter an die Verantwortlichen gerichtet formulieren.
Der letzte Punkt auf den wir eingehen wollen bezüglich Plan B ist, dass wir uns trotz Polizeipräsenz zu einer Sponti formierten und liefen. Wir denken, dass das ein wichtiger Schritt für uns war. Es ist schade, dass die Demoroute darunter litt, dass wir zu Anfang von den Cops weg liefen. Wir wollen Menschen natürlich die Angst vor Repression nicht absprechen, doch meinen wir im allgemeinen, dass wir in den richtigen Momenten keine Angst vor Cops haben müssen. Deswegen glauben wir, dass wir uns aktuell wirklich in die Offensive bewegen. Die Sponti war ein weiterer Schritt um Angst und Ohmacht hinter uns zu lassen. Wir wollen noch mehr kollektive Aktionen, mehr Selbstbewusstsein, mehr Missachtung und mehr Wut gegen das System im allgemeinen und die prügelwütigen Cops im speziellen. Wir freuen uns über einen Austausch zu einer Demokultur, in der sich unsere gemeinsame Stärke entfalten kann.
Vorschau
Mit der kraftvollen Demo sowie der wütenden Sponti als Reaktion sind wir auf einem guten Weg in die Offensive zu kommen. Wie wir bereits am Anfang sagten, sind die Punkte in diesem Text erste Ideen die wir gerne mit euch weiter diskutieren würden. Wir freuen uns über digitales Feedback aber wollen in der Zukunft auch andere Räume für Austausch schaffen. Wir wollen weiter an unserer Strategie feilen und uns an größeren Diskussionen bezüglich Organisierung von kraftvollen Demos und Demokultur beteiligen.
Die Demo war ein starkes Signal und wir wollen alle Räumungsversuche zu einem Desaster machen. Im Falle von Räumungen wollen wir mit Demos und Spontis den Preis in die Höhe treiben. Neben den Aktionen zu Tag X wird es in der Woche vom 7.-13. September eine feministische Aktionswoche geben, in der auch eine weitere Interkiezionale Demo stattfindet